In einem Beschluss vom 11.10.2024 hat sich der Vergabesenat des OLG Naumburg mit der Frage befasst, welche Konsequenzen eintreten, wenn der Auftraggeber einen Zuschlag erteilt, der Änderungen gegenüber den im Vergabeverfahren bekannt gemachten Bedingungen enthält. Im Ergebnis wertet das OLG den Zuschlag als neues Angebot des Auftraggebers (Angebotsannahme unter Änderungen) im Sinne des § 150 Abs. 2 BGB. Ein Vertrag kommt daher erst mit Zustimmung des Bieters zustande.
Philipp Pellen erläutert die Hintergründe und Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis.
In einem europaweiten Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb wollte eine Landesbehörde drei Rahmenvereinbarungen über baufachliche Prüfleistungen abschließen. Im Verhandlungsverfahren blieben zwei Bieter übrig. Nach Abgabe der finalen Angebote verschickte der Auftraggeber ein Zuschlagsschreiben – allerdings mit einer neuen Vertragsfassung, die gegenüber dem verhandelten Entwurf etliche Änderungen enthielt (u. a. Befangenheitsregel, erweiterte Haftungsklauseln, längere Laufzeit und geänderte Fördermittelverweise). Außerdem nahm der Auftraggeber eine gestaffelte Auftragung beider Bieter vor, nach der die Einzelaufträge nach einem Kaskadenmodell erteilt werden sollten. Der Vorabinformation fehlte dabei jeder Hinweis darauf, dass beide Bieter den Zuschlag erhalten sollen. Der günstigere Bieter bestätigte den Auftrag; der Zweitplatzierte hingegen nicht. Er rügte die „Zuschlagserteilung mit Änderungen“. Der nach Nichtabhilfe gestellte Nachprüfungsantrag blieb erfolglos. Vor dem OLG Naumburg wollte er nun feststellen lassen, dass die mit dem Erstplatzierten geschlossenen Verträge unwirksam sind.
Das OLG Naumburg wies die sofortige Beschwerde im Ergebnis zurück. Der mit dem Erstplatzierten geschlossene Vertrag sei trotz bestehender Verstöße gegen das Vergaberecht wirksam.
Der Senat stellt in der Entscheidung klar, dass die Übermittlung des geänderten Vertragstextes als neues Angebot im Sinne des § 150 Abs. 2 BGB zu werten ist. Somit war der Vertragsschluss von der Bestätigung des Bieters abhängig.
Die von der Vergabestelle begangenen Vergaberechtsverstöße bleiben ohne Wirkung. Zwar wurde das Nachverhandlungsverbot (§ 17 Abs. 10 VgV) verletzt und die erforderliche Vorabinformation (§ 134 GWB) war unvollständig – insbesondere, weil der Abschluss mit mehreren Bietern und die nachträglichen Vertragsänderungen nicht offengelegt wurden. Diese Verstöße allein führen jedoch nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags (§ 135 GWB), da sie keine wesentlichen Informationspflichten betreffen würden, die unmittelbar über die Zuschlagserteilung entscheiden. Schließlich konnte der Antragsteller nicht darlegen, dass ihm durch die monierten Vergabeverstöße eine realistische Zuschlagschance als Erstbieter entgangen ist. Er war preislich unterlegen und hat nicht behauptet, dass ihm im Fall vollständiger Information ein besseres Angebot möglich gewesen wäre.
Öffentliche Auftraggeber sollten Vertragsentwürfe rechtzeitig finalisieren – idealerweise vor der letzten Angebotsrunde. Wer erst im Zuschlagsschreiben Änderungen am Vertragstext vornimmt, provoziert nicht nur Rügen, sondern läuft auch Gefahr, dass der Zuschlag als neues Angebot gewertet wird. Zwar bleibt ein später geschlossener Vertrag in vielen Fällen wirksam, doch das Risiko einer Anfechtung durch einen unterlegenen Bieter nach § 135 GWB steigt. Zudem können sich Bieter nach einem Zuschlag mit Änderungen theoretisch gegen den Vertragsschluss entscheiden, was eine Wiederholung der Vergabe erforderlich machen könnte.
Besondere Sorgfalt gilt bei Rahmenverträgen mit mehreren Partnern. Die Vorabinformation nach § 134 GWB muss offenlegen, dass Zuschläge an mehrere Bieter vorgesehen sind – und wer den Zuschlag erhält. Zudem sollte klar geregelt sein, wie die späteren Einzelabrufe verteilt werden. Andernfalls drohen formelle Fehler, die im Nachgang zum Einfallstor für Rechtsmittel werden.
Auch Bieter sollten wachsam sein: Erhält man einen Zuschlag mit verändertem Vertragsinhalt, stellt sich die Frage, ob die geänderten Vertragsbedingungen akzeptabel sind oder der Zuschlag abgelehnt werden sollte. Nach Vertragsschluss bleibt nur noch die Möglichkeit, die Unwirksamkeit nach § 135 GWB feststellen zu lassen. Dafür aber braucht es eine nachvollziehbare Begründung, warum sich durch die Vertragsänderung die Zuschlagschancen verschlechtert haben. Ein einfaches „Hätten wir das gewusst, hätten wir anders angeboten“ reicht in der Regel, und so auch im Fall des OLG Naumburg, nicht aus.